HIPPOLYTHAUS ST. PÖLTEN, 3. März 2023

Vortrag von Mag. Dr. Hans Mosser – Mediziner und Theologe

Von Getsemani bis Golgota – Passion und Kreuzestod Jesu aus historischer, medizinischer und theologischer Sicht

Hans Mosser ist Facharzt für Radiologie und war Vorstand der Universitätsklinik für Radiologie in Krems. Er brachte in seinem Vortrag die Passionsberichte der Evangelien mit außerchristlichen literarischen, archäologischen und rechtsgeschichtlichen Quellen sowie mit gegenwärtigem medizinischen Wissen in Beziehung.

Er fasst seinen Vortrag folgendermaßen zusammen:

Eine medizinische Evaluierung der in den Passionsberichten der Evangelien dargestellten Ereignisse über das Leiden und den Kreuzestod Jesu benötigt zunächst einen soliden historischen Hintergrund, andernfalls wäre sie bedeutungslose Spekulation in einem substanzlosen Raum. Daher war in einem ersten Schritt ein historischer Zugang zu eröffnen. Die literarischen und rechtsgeschichtlichen Quellen über den Ablauf der Kreuzigung, der dazugehörenden, ihr stets vorausgehenden Geißelung und der verwendeten Geißelwerkzeuge sind auch durch archäologische Evidenzen belegt. Dies gilt ebenso für die Form des Kreuzes, die durchaus variabel gewesen sein wird. Allerdings, die wenigen vorhandenen bildlichen Darstellungen einer römischen Kreuzigung, von denen sogar zumindest eine konkret auf die Kreuzigung Jesu Bezug nimmt (Graffiti vom Palatin), zeigen stets die Form des τ, während es bisher keine derartigen Belege für einen bloßen Pfahl ohne Querbalken gibt, wie dies dennoch für das Kreuz Jesu immer wieder diskutiert wird. Die Kreuzigung des Jesus von Nazareth in der Verantwortung des römischen Präfekten Pontius Pilatus – unter dem Aspekt der Sicherung der Pax Romana in der kleinen römischen Provinz Judäa – gilt auch nichtchristlichen Historikern als ein gesichertes historisches Ereignis. Es konnte in dieser historischen Perspektive gezeigt werden, dass die Passionsberichte in vielem den außerchristlich erhobenen Befunden entsprechen und ihnen in nichts widersprechen. Dies macht sie zu einer belastbaren Basis für eine medizinische Bewertung des Kreuzestodes Jesu aus heutiger Sicht. Die medizinische Literatur zu Passion und Tod Jesu ab der Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute ist als Spiegelbild des jeweiligen Standes der Medizin zugleich Ausdruck ihrer Entwicklung zu einer Wissenschaft. Vor allem die Pathophysiologie von Verletzungen und des Schocks ist erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts erforscht, sodass dieses Wissen früher erschienenen Arbeiten über den Tod Jesu fehlt. Aber auch in neuerer Literatur ist die Berücksichtigung der Umstände des Todes Jesu nicht vorhanden. Einerseits bleiben die Folgen der Geißelung unbedacht, die in Form stumpfer Traumata entscheidenden Einfluss auf das Überleben am Kreuz hatten und andererseits der für eine Kreuzigung atypisch rasche Todeseintritt innerhalb von 3 bis 6 Stunden. Neuerdings konnten vermutete Diagnosen wie Herzruptur oder Erstickungstod widerlegt werden. Einige wenige Arbeiten, die sehr seltene Todesursachen auflisteten, benötigen zu viele Zusatzannahmen, um realistisch in Betracht gezogen werden zu können, sodass sie ebenfalls auszuscheiden waren. Hingegen ist Arbeiten, die ein Schockgeschehen in ihre Überlegungen einbezogen, zwar grundsätzlich zuzustimmen, eine konkrete, den Schock initiierende Ursache konnte aber bisher nicht angegeben werden, sodass – eher nebulös – von einer multikausalen Ursache ausgegangen wurde. Unter Berücksichtigung aller historischen Fakten zur Kreuzigung, weiters dem in den Evangelien berichteten Modus des Sterbens Jesu am Kreuz und dem heutigen medizinischen Wissensstand über stumpfe Traumata, die einer Geißelung analog sind, ist die plausibelste Ursache des Kreuzestodes Jesu eine sog. verzögerte bzw. zweizeitige Milzruptur am Kreuz als Folge der Geißelung, mit einem daraus resultierenden letalen Schock. Für diese Überlegung sind keine Zusatzannahmen erforderlich, sie entspricht der Häufigkeit dieses Verletzungsgeschehens sowie dem wachen Bewusstseinszustand Jesu bis unmittelbar vor seinem dann plötzlichen und raschen Tod. Das Nachdenken über den konkreten Ablauf von Passion und Sterben Jesu, wie es mit großer Wahrscheinlichkeit tatsächlich der Fall gewesen ist, konfrontiert jeden Menschen, der sich darauf einlässt, mit dem anthropologischen Aspekt Jesu. Dies vermag einen Raum zu eröffnen, in dem eine Begegnung mit Jesus von Nazareth, anders als mit dem erhöhten Christus, nämlich von Mensch zu Mensch möglich ist. Mit dem Bedenken dieses historisch-anthropologischen Seins Jesu, in dem er uns als Mensch nahe ist, lässt sich ein vielleicht nur einseitiges oder gar nur symbolhaftes Christusbild korrigieren und möglicherweise in eine engere Christusbeziehung führen.

 

Nachsatz

Der bemerkenswerte informative Vortrag, der tiefe Einblicke in das Sterben Jesu gewährte und neue Aspekte zur konkreten Todesursache aufzeigte, beeindruckte die zahlreich anwesenden Gäste. Als Bereicherung für die Fastenzeit hinterlassen die Ausführungen gewiss einen tiefen Eindruck in Bezug auf die Leidensgeschichte Jesu, die seine Nähe zu leidenden Menschen gut zum Vorschein bringt.

Dr. Gertrud Moser