Marienwallfahrtsort Fatima
FRANZISKANERPFARRE ST. PÖLTEN, 2. APRIL 2025
Vortragsreihe 1. Teil
„Spiritualität und Medizin“
Mag. Dr. Hans Mosser, Theologe und Mediziner
In welchem Zusammenhang stehen Spiritualität und Medizin, bzw. eine spirituell-religiöse und eine medizinisch-wissenschaftliche Dimension? Nach Klärung des heute bereits abgenutzten Containerbegriffs Spiritualität ging es auf der Basis aktueller wissenschaftlicher Datenlage um die möglichen Auswirkungen von Spiritualität, im Besonderen von christlicher Religiosität, auf die mentale, psychische und körperliche Gesundheit. Zum Thema passend wurde abschließend auch kurz die „therapeutische Theologie” des katholischen Theologen und Priesters Eugen Biser (1918-2014) vorgestellt.
Mag. Dr. Hans Mosser fasst seinen Vortrag zusammen
Die fünf zentralen Aspekte des Vortrags waren 1. die Frage nach der Aktualität und Relevanz des Themas, danach 2. der Begriff Spiritualität, seine historische Entwicklung und der Zusammenhang mit dem Begriff Religiosität. Nach Klärung der Begrifflichkeiten wurde 3. eine Übersicht der aktuellen wissenschaftlichen Studienlage über die Zusammenhänge zwischen Religiosität bzw. Spiritualität und Auswirkungen auf die mentale, psychische und körperliche Gesundheit vorgestellt, und im 4. Teil erfolgte eine kurze Einführung in die sog. therapeutische Theologie des deutschen Priesters, Theologen und Religionsphilosphen Eugen Biser.
- Zunächst wurde anhand des deutschen Philosophen Jürgen Habermas die seit 1830 in der Soziologie dominante Säkularisierungsthese von Auguste Comte besprochen, gemäß derer mit der Zunahme der Wissenschaft die Bedeutung von Religion abnehmen würde. Diese These wurde noch 1981 vom deutschen Philosophen Jürgen Habermas ausdrücklich vertreten, der von einem Verfall der Religion in modernen Gesellschaften sprach. 2004 hingegen konstatierte Habermas ein Fortbestehen der Religion als soziale Tatsache und betonte in einer öffentlichen Diskussion in München mit dem damaligen Kardinal Ratzinger, dass „Religion einen bleibenden Stellenwert für die Entwicklung moderner ‚post-säkularer‘ Gesellschaften“ habe. Der von Habermas benutzte Ausdruck „post-säkular“ impliziert damit ein Ende der Säkularisierungsthese, wenngleich diese noch immer von einem Teil der Soziologen und auch Theologen in Hinblick auf die konstant vorhandenen Kirchenaustritte vertreten wird.
- Im zweiten Teil des Vortrags wurde der genuin christliche etymologische und inhaltliche Ursprung des Begriffs Spiritualität nachgewiesen. Demnach erfolgte um 200 n.Chr. durch den ersten der lateinisch statt griechisch schreibenden christlichen Theologen, nämlich Tertullian, mit „spiritualis“ eine Wortneuschöpfung, der damit den neutestamentlichen griechischen Begriff „pneumatikos“ (πνευματικòς) (i.S. von geistlich, bezogen auf Gottes Geist „pneuma“ πνευμα) übersetzt hatte. Der im Lateinischen an sich damals schon vorhandene Begriff „spirituosus“ für „geistig“ schien Tertullian nicht adäquat den Bezug zu Gott herzustellen, sodass er diese Wortneuschöpfung „spiritualis“ verwendete. In weiterer Folge wurde die Entwicklung des Begriffs bis in die Neuzeit sowie die heutige Verwendung als Containerbegriff aufgezeigt. Mit Hans Urs von Balthasar und Karl Rahner wurden Beispiele der Verwendung des Begriffs Spiritualität im christlichen Bereich vorgestellt. So ist für Hans Urs von Balthasar Spiritualität „eine Grundentscheidung des Menschen, die sich in seiner existenziellen Grundhaltung, seinem Daseinsverständnis und der Durchstimmtheit seines Lebens ausdrückt.“ Und Karl Rahner betont den Erfahrungsaspekt von Spiritualität, wonach ein geistbestimmtes Leben keine bloße Kopflastigkeit sei. Aus diesem Zusammenhang stammt auch das berühmte Diktum Rahners: „Der Fromme von morgen wird ein ‚Mystiker‘ sein, einer, der etwas ‚erfahren‘ hat, oder er wird nicht mehr sein, …“ und „das Erste und Wesentliche, was auch die Frömmigkeit von morgen bestimmen“ müsse, sei „das persönliche unmittelbare Gottesverhältnis.“
- Der dritte Aspekt des Vortrags über die Zusammenhänge von Religiosität und Spiritualität mit Gesundheit beschrieb zunächst die Probleme bei der Operationalisierung (Messbarmachung) der Begriffe, was Voraussetzung sei für wissenschaftliche Untersuchungen. In weiterer Folge wurden Studien diskutiert, die in überwiegendem Maße positive Auswirkungen von Religiosität auf die mentale, psychische und körperliche Gesundheit nachgewiesen haben, im Vergleich zu areligiösen Menschen. Dabei konnten auch zwei grundsätzliche Typologien von Religiosität identifiziert werden. Eine sog. „negative Religiosität“, in der Gott eher als Straf- und Kontrollinstanz wahrgenommen wird und, wenn überhaupt, nur eine schwache Gottesbeziehung besteht. Diese Art von Religiosität habe, so die wissenschaftlichen Studien, im Vergleich zu Areligösen sogar negative Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden. Im Gegensatz dazu würde eine „positive Religiosität“, in der Gott als liebend erfahren und eine stärkere Beziehung zu ihm erlebt wird, positive Auswirkungen haben im Vergleich zu areligiösen Menschen. Dazu gehöre u.a. eine geringere allgemeine Sterblichkeit sowie auch bei Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen. Vielversprechende Studien würden ganz aktuell ergeben, dass eine geringe oder fehlende Religiosität im Erwachsenenalter ein starker Risikofaktor für die Entwicklung eines Morbus Parkinson sein kann. Daher sei dieses Thema gerade hochaktuell und würden in den nächsten 5-10 Jahren interessante Langzeitergebnisse vorliegen.
- Als vierter und abschließender Teil der Präsentation wurde in die sog. „therapeutische Theologie“ von Eugen Biser eingeführt. Biser kritisierte die nach seiner Meinung in der Scholastik erfolgte Trennung der Theologie von der Medizin und die zunehmende eigenständige „Verwissenschaftlichung“ der beiden Bereiche. Damit sei es zu einer doktrinalen Verkürzung des theologischen Heilsverständnisses gekommen, wonach Heil nur mehr als Seelenheil verstanden würde. Biser konstatiert Lebensangst als „zentrale Befindlichkeit des heutigen Menschen“, ja, als „anthropologisches Zeitphänomen“, was nur durch Christus als Lebenszentrum eines Menschen überwunden werden könne. Das Sich-Vor-Augen-Stellen des Gekreuzigten und die Verbindung des eigenen Leids mit diesem hätte entscheidendes Heil- und Trostpotenzial. Aus Zeitgründen konnte auf Bisers Konzept einer therapeutischen Theologie und ihre Möglichkeiten heute nicht weiter eingegangen werden.
Abschließend wurde festgestellt, dass Religiosität/Spiritualität sich jedoch nicht funktionalisieren, sich nicht wie ein Medikament verordnen lasse, um länger gesund zu bleiben. Aber es würde sich lohnen, über existenzielle Fragen des Lebens nachzudenken, dem eigenen Glauben nachzuspüren und ihn neu zu entdecken, und Erfahrungen mit Gott zu machen. Wenn Rahner 1966 vom Ende der sog. Volksfrömmigkeit und davon gesprochen hat, dass der Fromme von morgen eine Gotteserfahrung gemacht haben müsse, oder er würde nicht mehr sein, so lässt sich feststellen, dass dieses „morgen“ Rahners knapp 60 Jahre später unser Heute ist!
Quellen/Literatur beim Autor (hans.mosser@aon.at)