Hippolythaus St. Pölten, 22. Februar 2024
Warum lässt Gott das Böse zu? – Ein theologischer Antwortversuch
Prof. Dr. Josef Spindelböck, a. o. Professor für Moraltheologie und Sozialethik am Internationalen Theologischen Institut Trumau, geistlicher Assistent des Katholischen Familienverbandes der Diözese St. Pölten
Prof. Spindelböck ging auf der Grundlage der göttlichen Offenbarung, wie sie von Schrift und Tradition bezeugt und vom Lehramt der Kirche ausgelegt wird, auf eine drängende Frage ein:
Wie lässt sich unser Glaube an einen allwissenden, allmächtigen, höchst gütigen und höchst gerechten Gott damit vereinbaren, dass es in dieser Welt vielerlei Arten von Übel mit Einschluss des sittlich Bösen gibt?
Im Bewusstsein dessen, dass eine vollkommene rationale Erhellung dieses Problems für den Menschen auf Erden nicht möglich ist, bietet uns doch der Glaube insgesamt eine hilfreiche Orientierung und zeigt uns die Richtung auf, in welcher sich die Antwort finden lässt auf die Fragen:
Woher kommt das Böse, was ist sein Ursprung? Was ist der Sinn seiner göttlichen Zulassung? Wie kann uns letztlich alles zum Guten gereichen (vgl. Röm 8,28)?
Wo liegt der Ursprung des Bösen?
Gott schenkt seinen Geschöpfen Freiheit. Die Freiheit als solche ist etwas Wertvolles, sie adelt den Menschen, da sie ihrem Wesen nach auf das Gute und auf die Liebe zu Gott und zum Nächsten hin ausgerichtet ist. Sie lässt aber auch die Möglichkeit ihres Missbrauchs zu, indem sie sich für das Böse entscheiden kann. Doch selbst wenn dies geschieht, entgleitet der liebenden Vorsehung Gottes für seine Geschöpfe nichts. Das Böse besitzt kein eigenes Sein; es ist vielmehr ein Seinsabfall, ein Fehlen dessen, was sein soll. Böses ist ein Mangel an Gutem, es hat keine eigene Substanz. Gut und Böse sind daher nicht gleichwertig. Böses ist wie ein Parasit und zehrt vom Guten. Das Gute ist zuerst und bleibt immer bestehen. Das Böse ist destruktiv und vernichtet sich irgendwann gleichsam selbst bzw. wird von Gott dem Herrn im Endgericht in die Schranken gewiesen.
Was ist der Sinn des Bösen bzw. seiner göttlichen Zulassung im Weltenplan?
Gott geht mit der den Geschöpfen geschenkten Freiheit gleichsam das Risiko ein, dass diese Freiheit auch missbraucht werden kann, sodass sich der Mensch von Gott abwendet (Sünde) und destruktiv gegenüber sich selbst, der Mitwelt und der Umwelt tätig wird. Gott lässt Böses zu, er vermag jedoch auf geheimnisvolle Weise aus dem Bösen, das der Teufel als gefallener Engel oder der Mensch anregt, Gutes zu bewirken. Prof. Spindelböck zitiert dazu aus dem Katechismus:
„So kann man mit der Zeit entdecken, dass Gott in seiner allmächtigen Vorsehung sogar aus den Folgen eines durch seine Geschöpfe verursachten moralischen Übels etwas Gutes zu ziehen vermag. Josef sagt zu seinen Brüdern: ‚Nicht ihr habt mich hierhergeschickt, sondern Gott … Ihr habt Böses gegen mich im Sinne gehabt, Gott aber hatte dabei Gutes im Sinn … um … viel Volk am Leben zu erhalten‘ (Gen 45,8; 50,20) […]. Aus dem schlimmsten moralischen Übel, das je begangen worden ist, aus der durch die Sünden aller Menschen verschuldeten Verwerfung und Ermordung des Sohnes Gottes, hat Gott im Übermaß seiner Gnade [Vgl. Röm 5,20.] das größte aller Güter gemacht: die Verherrlichung Christi und unsere Erlösung. Freilich wird deswegen das Böse nicht zu etwas Gutem“ (KKK 312).
Wie kann uns alles zum Guten gereichen? (vgl. Röm 8, 28)
Wir unterscheiden physische und moralische Übel. Physische Übel sind z. B. Katastrophen, Krankheiten, Leiden verschiedener Art. Nicht alles, was hier leidvoll ist, ist wirklich schädlich für die Menschen, das heißt für deren ewiges Heil. Wie oft wird die Annahme eines behinderten Kindes für eine betroffene Familie zum Anlass, die Zuwendung der Liebe zu den Schwachen und Leidenden konkret zu erlernen und zu üben! Natürlich wäre es wünschenswert, dass alle Kinder gesund sind und niemand behindert ist. Eine „Kultur des Todes“ gibt von vornherein die falsche Antwort: Um das Leiden auszumerzen, tötet man behinderte ungeborene Kinder oder setzt sich für die Euthanasie unheilbar kranker Menschen ein. Man will sich selbst die Auseinandersetzung mit Leiden und Behinderung ersparen und kaschiert dies als Akt des Mitleids. Die christliche Liebe solidarisiert sich mit den Leidenden in echter „Compassion“, die zur helfenden Tat schreitet.
Moralische Übel gründen in der schuldhaften Abkehr von Gott. Auch wenn der letzte Ursprung des Übels und des Bösen in der Sünde liegt (Ursünde und persönliche Sünden), so darf man doch keinen direkten Zusammenhang behaupten (nach der Art: Du hast gesündigt, deshalb trifft dich dieses oder jenes Leid).
Der Ausweg liegt im Willen zur Umkehr und zur Ausrichtung auf Gott hin. Freilich ist es eine Herausforderung, sich im Glauben der Frage zu stellen: Bin ich bereit, dem Sohn Gottes bedingungslos zu vertrauen und mich ihm ganz anzuvertrauen? Der Römerbrief ermutigt: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alles zum Guten gereicht“ (Röm 8,28).
Darüber hinaus nimmt der Sohn Gottes stellvertretend die grausamen Folgen der Sünde auf sich. Im Sterben des menschgewordenen Sohnes Gottes zeigt sich, dass die Liebe gerade auch dann siegreich ist, wenn sie scheinbar unterliegt.
Gott lässt in seiner Vorsehung das Böse zu; ihm entgleitet nichts, und er kann alles zum Guten hinwenden. Dies gilt insbesondere für die Menschen, die seine Liebe annehmen und im Glauben Ja sagen zu Gott. Ihnen gereicht in Verbindung mit dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn alles zum Guten. In Tod und Auferstehung seines Sohnes hat Gott die Vernichtung der Konsequenzen des Bösen bereits endgültig vorweggenommen.
Die letzte Vollendung liegt bei Gott selbst, der im Eschaton – also in den „Letzten Dingen“ – seine Macht und Herrlichkeit offenbaren und sich auf diese Weise auch selbst und sein Werk „rechtfertigen“ wird durch die scheinbare Ohnmacht seiner Liebe, die dann triumphiert.